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Woher kommt der schlechter Ruf der Hormonersatztherapie?

Veröffentlicht von Saskia Scheibel im September 2024 in HET & alternative Therapien

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Hormonersatztherapie: Von der Hoffnung auf Vorbeugung zur umstrittenen Behandlungsmethode

Hormonersatztherapie (HET oder engl. HRT= Hormone Replacement Therapy) ist eine Behandlungsmethode, die darauf abzielt, die durch den natürlichen Rückgang der Hormonproduktion verursachten klimakterischen Beschwerden und langfristigen Gesundheitsrisiken zu mildern, indem dem Körper von außen ein “Hormonersatz” zugeführt wird.

Die Idee, schwindende Hormone in den Wechseljahren von außen wieder ins System zu bringen, entwickelte sich aus der Forschung und Entwicklung von hormonellen Verhütungsmitteln heraus und nahm in den 80iger Jahren Fahrt auf. Millionen Frauen nahmen damals Östrogene als “Jungbrunnen” ein, unabhängig von Beschwerden, um Krankheiten wie Osteoporose, Herzinfarkt oder Schlaganfall vorzubeugen. Die sogenannte “Krankenschwester Studie “ (Nurses Health Study) schien diese Annahmen zu bestätigen, war jedoch nur eine Beobachtungsstudie, was bedeutet, dass viele mögliche Einflussfaktoren auf das Ergebnis nicht kontrolliert werden konnten. Aus diesem Grund wurde versucht, die positiven Wirkungen über groß angelegte “Goldstandard” Studien (üblich in der Pharmaindustrie) zu belegen. 

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Die HERS-Studie: Wie frühe Ergebnisse und mediale Panik die HET ins falsche Licht rückten

Die erste Studie dieser Art, die HERS Studie (Heart and Estrogen/Progestin Replacement), konnte jedoch die Schutzwirkung der Östrogentherapie auf das Herz nicht eindeutig belegen. Allerdings wurden hier Frauen inkludiert, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten, in der Hoffnung, ihr geschädigtes Gefäßsystem durch die Hormongabe zu verbessern. Zu dieser Zeit kamen erste Warnungen auf, dass Hormonersatztherapien, wie sie damals verordnet wurden, das Risiko für Thrombosen, Lungenembolien, Brustkrebs (Mammakarzinom) und bei Frauen mit intakter Gebärmutter auch Krebs der Gebärmutterschleimhaut erhöhen könnten. 

Letzteres schien man verhindern zu können, indem man zu dem Östrogen noch ein Gelbkörperhormon (Progesteron) verabreichte. Im Jahr 1991 wurde daraufhin die einschlägige WHI Studie (Women’s Health Initiative) durchgeführt, die sowohl die schützende Wirkung als auch die Risiken von Hormontherapie in den Wechseljahren untersuchen sollte. Die Studie bestand aus zwei Armen: Die erste Gruppe Frauen, mit intakter Gebärmutter, bekam eine Kombination aus einem (körperfremden) Östrogen in Kombination mit einem körperfremden Gelbkörperhormon (Gestagen) bzw. ein Placebo (Scheinmedikament). Die zweite Gruppe Frauen, die keine Gebärmutter mehr hatten, bekam nur Östrogen bzw. Placebo. Der Studienarm mit dem Kombinationsprodukt wurde im Jahr 2002 vorzeitig abgebrochen, da man ein signifikant erhöhtes Brustkrebsrisiko und kardiovaskuläres Risiko (Schlaganfall, Herzinfarkt, Thrombose) beobachtete. Obwohl auch positive Effekte, wie weniger Knochenbrüche, weniger Diabetes, ein geringeres Darmkrebsrisiko sowie eine geringe Gesamtsterblichkeit verzeichnet wurden, erschütterte die Studie die Fachwelt und verängstigte Frauen weltweit. 

Geschürt wurde dies durch die reißerische und teils unreflektierte Medienberichterstattung, die ihre Artikel zur “Verteufelung” der Hormonersatztherapie schon veröffentlicht hatten, bevor alle Daten der Studie überhaupt ausgewertet waren. Dies führte dazu, dass Gynäkolog:innen in den Folgejahren große Angst davor hatten, ihren Patientinnen einen Schaden zuzufügen und kaum noch HRT verschrieben, unabhängig davon, wie schwerwiegend die Wechseljahresbeschwerden der Frauen waren. Bei vielen Frauen, die HRT bereits nahmen, wurde die Therapie unmittelbar abgesetzt, was dazu führte, dass die Verordnung von Antidepressiva und Schlafmitteln anstieg [1]. Der schlechte Ruf und die Angst vor Hormonersatztherapie dauert bis heute an. Aufgrund dessen haben auch viele, damals führende, Pharmaunternehmen ihre Forschung und Entwicklung in diesem weitestgehend Bereich eingestellt. Heute weiß man, dass man die Ergebnisse der Studie differenzierter betrachten, ins richtige Verhältnis setzen und neu bewerten muss.

Was waren die Schwächen der WHI Studie und ihrer damaligen Interpretation und was wurde daraus gelernt? 

  1. Die inkludierten Frauen der Studie waren nicht, wie eigentlich betont, herzgesunde Frauen.  Sie waren im Schnitt 63 Jahre alt  und damit im Durchschnitt über zehn Jahre in der Postmenopause, was an sich schon ein Risikofaktor ist. Dies lag vermutlich daran, dass man aus Angst vor Studienabbruch in der Placebo-Gruppe Frauen mit Hitzewallungen ausschloß - das sind in der Regel aber die Jüngeren, die sich in den frühen Wechseljahren befanden. Die Hälfte der dann ausgewählten Frauen brachten Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck oder kardiovaskuläre Vorerkrankungen in der Vergangenheit mit.  
  2. Das erhöhte Brustkrebsrisiko in dem Studienarm mit dem Kombinationsprodukt war statistisch erhöht, aber vergleichbar mit dem Risiko von Frauen, die täglich ein Glas Wein trinken, übergewichtig sind oder sich wenig bewegen. Das soll das Risiko nicht kleinreden, aber in ein verständliches Verhältnis setzen. 
  3. Die verabreichten Hormone waren keine körpereigenen Hormone, sondern synthetische Hormone, wie sie auch mit  der Anti-Pille verabreicht werden. Diese sind mit den heutigen bioidentischen Hormonen nicht vergleichbar. Insbesondere von dem damals verwendeten Gestagen (Medroxyprogesteronacetat) weiß man heute, dass es das Brustkrebsrisiko erhöht, weswegen es auch nicht mehr zum Einsatz kommt. Dass oral verabreichte Östrogene, also z.B. als Pille geschluckt, das Thromboserisiko erhöhen können, ist heute auch bekannt (sowohl synthetische als auch bio-identische). Dies kann man mit einer transdermalen Gabe (über die Haut) umgehen. 
  4. Die angewendeten Hormontherapien in den USA und Europa unterschieden sich damals zum Teil stark von der Art der verwendeten (synthetischen) Hormone. Daher ist zweifelhaft, ob die Ergebnisse der WHI-Studie und der dort verwendeten Gestagene auf andere Hormontherapien übertragbar sind, denn die Nebenwirkungen können sehr unterschiedlich sein.

Unsicherheit bei HRT: Veraltete Studien, unzureichende Aufklärung und ein bitterer Nachgeschmack

Zwei der Autor:innen der Studie haben sich im Nachhinein dahingehend entschuldigt, dass man die Ergebnisse der über 60-Jährigen nicht auf die jüngeren Frauen (50-59) übertragen kann, da die Gesamtsterblichkeit in der Gruppe sogar signifikant (30%) reduziert war [2]. Dieser Aspekt wurde jedoch - wenn überhaupt - in Fachkreisen diskutiert, nicht in den Massenmedien. 

Es bleibt daher ein bitterer Nachgeschmack und noch immer viel Unsicherheit und Uneinigkeit auf Seiten von Ärzt:innen und Patientinnen. Tatsächlich wurden auch keine weiteren nennenswerten Studien durchgeführt, die der absoluten Beruhigung in Bezug auf die Sicherheit von HRT zuträglich sind. Die moderne HRT mit bio-identischen Hormonen unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht maßgeblich von der damals eingesetzten Therapie. Dennoch wird sie von vielen als Mittel der letzten Wahl, wenn nichts anderes hilft, betrachtet und nur so kurz wie möglich eingesetzt, um schlimmste Beschwerden zu mildern. 

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Die Fachwelt diskutiert das Thema weiterhin kontrovers, es scheint aber Tendenzen eines positiveren Blicks auf die moderne HRT zu geben, zumindest bei richtiger Anwendung. Es gibt die, die davon berichten, Frauen damit seit vielen Jahren fast alternativlos zu helfen und die moderne HRT auch über die gynäkologischen Indikationen hinaus einsetzen - internistisch, als Anti-Aging oder allgemeine Prävention (mehr zu den Einsatzgebieten findet ihr in diesem Artikel). Es gibt aber auch andere, die aufgrund von Zweifeln an der Wirkung und/oder der Sicherheit von HRT primär Anpassungen im Lebensstil oder alternative Therapien propagieren, um die Wechseljahresbeschwerden in den Griff zu bekommen. Durch die einschneidende WHI Studie wurde es zwischen 2002 und heute versäumt, eine ganze Generation von Ärzt:innen zur modernen Form der Hormonersatztherapie zu schulen, weswegen Frauen bei dem Thema häufig nur auf eigene Initiative hin eine informierte Entscheidung treffen können.

Eine aktuelle Studie der Amerikanischen “Menopause Society” hat herausgefunden, dass der Einsatz von HRT in den USA in den letzten Jahren weiterhin gesunken ist (von 4.6% in 2007 auf 1.8% in 2023) trotz belegter Vorteile für die Frauen [3].

Zusammenfassung:

Hormonersatztherapie gegen Wechseljahresbeschwerden gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Nachdem sie in den 80iger Jahren sehr viel und gern verschrieben wurde, brach der Markt um die Jahrtausendwende komplett ein, aufgrund beunruhigender Studienergebnisse, die u.a. ein erhöhtes Brustkrebsrisiko aufzeigen. Auch wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass die Studie erhebliche Schwächen hatte und die Therapie mit der heutigen modernen Hormonersatztherapie nicht vergleichbar ist, herrscht noch immer viel Angst, Unsicherheit und Unwissen bei Frauen, aber auch auf Seiten der Ärzt:innen. 

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Quellen:

1. Orfanos-Boeckel, Helena (2022): Nährstoff-Therapie: Orthomolekulare Medizin & Bioidentische Hormone: Mangel ausgleichen, Beschwerden lindern, Alterungsprozesse aufhalten. Stuttgart: Trias.

2. Schwenkenhagen, Anneliese; Schaudig, Katrin (2014): Kompass Wechseljahre. Von Hitzewallungen bis Gewichtszunahme: Hormontherapie ja oder nein? 2. Auflage, Stuttgart: Trias. 

3. Future Fem Health: Use of hormone therapy for menopause remains low in the US - despite proven benefits (10.09.2024). URL

Allgemeine Quellen:

Berry, Sarah and Wolf Jonathan: The Truth about Menopause Supplements (29.06.2023). Zoe Science and Nutrition, URL.

Bildau, Judith (2024): Raus aus dem Hormon Karussell: Soforthilfe bei PMS, Regelschmerzen, psychischen Tiefs, Schlafstörungen und Gewichtszunahme. München: Gräfe und Unzer Verlag.

Duscher, Dominik; Ruge, Nina (2021): Verjüngung ist möglich: Wissenschaftlich erforscht, was wirklich hilft. München: Gräfe und Unzer Verlag.

The Lancet (2019): Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta analysis of the worldwide epidemiological evidence, Elsevier Ltd., United Kingdom: URL.

Orfanos-Boeckel, Helena (2022): Nährstoff-Therapie: Orthomolekulare Medizin & Bioidentische Hormone: Mangel ausgleichen, Beschwerden lindern, Alterungsprozesse aufhalten. Stuttgart: Trias.

Schwenkenhagen, Anneliese; Schaudig, Katrin (2014): Kompass Wechseljahre. Von Hitzewallungen bis Gewichtszunahme: Hormontherapie ja oder nein? 2. Auflage, Stuttgart: Trias.