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Diagnostische Möglichkeiten in den Wechseljahren - ein großes Puzzle

Veröffentlicht von Saskia Scheibel im Juli 2024 in Diagnostik, Vitalität & gesundes Altern

Artikelbild Diagnostische Möglichkeiten in den Wechseljahren - ein großes Puzzle

1. Was bringt Diagnostik in den Wechseljahren?

Diagnostik im Kontext der Wechseljahre ist das Erheben und Auswerten bestimmter Werte im Labor, die über Körperflüssigkeiten, wie Blut, Speichel oder Urin gewonnen wurden und deren Analyse ein Bild über den Hormonstatus einer Frau geben. Auf Basis dessen kann man eine passgenaue Therapie und/oder Empfehlungen für Anpassungen des Lebensstils geben.

Diagnostik in den Wechseljahren wird, wie viele andere Teilbereiche auch, kontrovers diskutiert, auch in Fachkreisen. Während viele Expert:innen das Analysieren der Hormonwerte als ein starkes Werkzeug und unabdingbare Grundlage für Symptombehandlung und Therapie (z.B. HRT, siehe Artikel Hormonersatztherapie) beschreiben [1], gibt es andere, die eine Wechseljahres-Diagnostik für überflüssig und schwierig halten [2]. Überflüssig, weil sie der Meinung sind, man solle “einfach” auf Basis von Alter und Symptomen behandeln und schwierig, weil die Interpretation der Ergebnisse tatsächlich mehr Zeit und Kompetenz voraussetzt als würde man beispielsweise sogenannte “Krankwerte” (wie z.B. Entzündungsmarker) auswerten, für die es klare Grenzwerte gibt [1]. Ein häufiges Gegenargument ist, dass Hormontests nur eine Momentaufnahme sein, da Hormone je nach Alter, Zyklusphase, Tag und Tageszeit schwanken. Das ist tatsächlich so, geschulte Ärztinnen sollten jedoch in der Lage sein, den Zeitpunkt der Bestimmung sinnvoll zu wählen und entsprechend zu interpretieren. Besonders herausfordernd kann die Messung zudem in der Perimenopause sein, wenn die Hormone starken Schwankungen ausgesetzt sind.

Die richtige Interpretation erfordert Wissen und Erfahrung auf Seiten der derer, die die Laborergebnisse lesen, denn sie müssen die Rhythmik der Hormone kennen, zudem sind die Werte unterschiedlicher Labore teilweise nicht vergleichbar, das heißt, man muss auch die Eigenheiten des Labors, mit dem man zusammenarbeitet, kennen. Es kann daher sinnvoll sein, die Tests unter gleichen Bedingungen zu wiederholen, um solide (Mittel-)Werte zu erhalten.

Als sehr wichtig wird außerdem beschrieben, dass die Ergebnisse in einen medizinischen Gesamtkontext gebracht werden sollten. Das heißt, man muss auch das Alter mit einbeziehen, ob die Frau noch menstruiert und wenn ja, wann die letzte Periode war. Auch Medikamente und die Verhütungspille beeinflussen den Hormonspiegel, daher ist auch diese Information relevant für die Interpretation. Und letztlich sollte das aktuelle Befinden bzw. die Symptome der Frau mit aufgenommen und in die Waagschale geworfen werden. Idealerweise hat man sogar den Hormonstatus der Frau als es ihr (noch) gut ging, denn dann kann man diesen mit dem aktuellen, nicht-wohlfühl-Wert vergleichen [3]. Wer vorausschauend ist, lässt seinen Hormonspiegel also vielleicht schon mal testen, bevor die Perimenopause beginnt. 

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Hormone kann man sich wie ein Orchester vorstellen, das zusammen spielt. Nicht nur die Sexualhormone untereinander, sondern auch die anderen Hormone, Botenstoffe und Mikronährstoffe sind an einem “Stück” beteiligt. Dr. Judith Bildau beschreibt die Aufgabe der Ärzte diesbezüglich als ein Zusammensetzen eines Puzzles, das aus vielen verschiedenen Teilen besteht [2].

Hormone beeinflussen sich auch gegenseitig und unterliegen gewissen Hierarchien, diese muss man ebenfalls verstehen, um zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle ansetzen zu können [1; 4]. Dies kostet natürlich Zeit und Geld und auch den Willen des Arztes oder der Ärztin. Diese Ressourcen fallen jedoch in Praxen oft der Wirtschaftlichkeit bzw. dem auf Wirtschaftlichkeit ausgelegten Kassensystem zum Opfer.

Diagnostik soll schnell und einfach sein und dem Ausschluss schwerwiegender Krankheiten dienen. Die Wechseljahre sind nicht als “Krankheit” definiert, sondern als natürliche Phase im Leben einer Frau, die mit Begleitsymptomen einhergehen kann. Es wird daher nicht die Regel sein, dass Gynäkolog:innen proaktiv den Hormonspiegel testen lassen, schon gar nicht vor Beginn der Wechseljahre, wenn noch keine Beschwerden vorliegen. Das Thema Diagnostik muss man also ggf. selbst anstoßen, wenn man es möchte.

Hormone beeinflussen sich (..) gegenseitig und unterliegen gewissen Hierarchien, diese muss man ebenfalls verstehen, um zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle ansetzen zu können.

Jede Frau sollte selbst entscheiden, ob sie pro-aktiv ihren Hormonstatus messen lassen möchte. Wichtig ist es dabei, sich die Frage zu stellen, was man mit Ergebnissen macht. Möglicherweise haben sie eine therapeutische Konsequenz oder zumindest Emfpehlungen, die damit einhergehen. Möchte man einfach wissen, wo man gerade steht, und die Ergebnisse archivieren, um spätere Vergleiche anzustellen? Oder hat man schon Beschwerden, die man gezielt lindern möchte? Ein Ziel kann auch die präventive Optimierung bestimmter Werte sein. Die nächste Frage, die sich stellt, ist, was denn ein “guter” Wert für die Hormone ist. Hier ist es anders als beispielsweise bei Nährstoffen, es gibt keine allgemeingültigen Zielspiegel. Je nach Alter und Genetik ist der Hormonspiegel schon bei Frauen, die sich wohlfühlen, sehr unterschiedlich. Zielwerte müssen also individuell festgelegt werden und ergeben sich primär aus dem Wunsch einer bestimmten Wirkung [1].

2. Was kann und sollte gemessen werden?

Egal, welches Ziel man verfolgt, ist es im Kontext der Wechseljahre immer sinnvoll, die weiblichen Sexualhormone, Östrogene (insbesondere Estradiol) und Progesteron sowie das Follikelstimulierende Hormon (FSH) und das Luteinisierende Hormon (LH) zu messen. Sinkt das Progesteron- und Östrogenlevel in den Wechseljahren, steigen der FSH und LH Wert an. Eine Auswertung dieser vier Hormone (in Kombination mit Alter und Befinden) kann also eine gute Indikation zur Phase geben, in der sich die Frau befindet. 


Welche Rolle spielen FSH und LH in den Wechseljahren?

Follikelstimulierendes Hormon (FSH): ist ein Hormon, das von der Hypophyse ausgeschüttet wird und eine Schlüsselrolle in der Regelung der Reproduktionsprozesse spielt. In den Wechseljahren steigen die FSH-Spiegel typischerweise an, da die Eierstöcke weniger auf die Hormonproduktion reagieren. 

Luteinisierendes Hormon (LH): ist ebenfalls ein Hormon, welches in der Hypophyse gebildet wird und am Fortpflanzungsprozess beteiligt ist, indem es den Eisprung und die Gelbkörperbildung (Luteinisierung) fördert. Der Körper produziert Richtung Wechseljahre immer mehr dieses Hormons, um die Eierstöcke zur Hormonproduktion anzuregen.

Da die Schildrüsenhormone eng mit den Sexualhormonen verbandelt sind, wird häufig empfohlen, auch diese zu erheben (fT3 und fT4), denn wenn es da ein Problem gibt, kann sich das auch auf die Produktion der Sexualhormone auswirken [1; 2; 4]. Um hormonelle Dysbalancen zu verstehen und möglichen Ursachen auf den Grund zu gehen, gibt es noch weitere Hormone, wie DHEA und Testosteron sowie Cortisol und Melatonin, die eine wichtige Rolle spielen können. Um den kompletten Hormonstatus einer Frau zu verstehen, können darüber hinaus noch die Funktion der Neurotransmitter, wie Serotonin und Dopamin und der Nebenniere getest werden. 

Bei spezifischen Beschwerden oder dem Wunsch nach allgemeiner Prävention in den Wechseljahren, empfiehlt es sich zudem den eigenen Mikronährstoff Haushalt, ggf. das Darmmikrobiom und ab einem bestimmten Alter die Knochendichte testen zu lassen [1; 4]. 

Je mehr Werte man hat, desto einfacher ist es, das Puzzle zusammenzubringen und erfolgreich, kurativ oder präventiv zu behandeln. Nicht alle Tests und Analysen werden jedoch von der Krankenkasse bezahlt, zumeist nur die, die ein konkretes klinisches Symptom abklären. Daher sollte man hier genau abwägen. Für den Arzt ist es in jedem Fall hilfreich, wenn Frauen ein Symptomtagebuch führen (sofern Symptome vorliegen) und ihren Zyklus tracken (sofern noch vorhanden) und ihrem Arzt diese Daten, zusätzlich zur allgemeinen Anamnese, zur Verfügung stellen. 

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Diagnostische Möglichkeiten bei Wechseljahresbeschwerden

3. Welche Tests eignen sich wofür?

Es gibt drei Körperflüssigkeiten, aus denen die oben genannten Werte (außer der Knochendichte) entnommen werden können - jedoch nicht alle aus allen gleichermaßen: Speichel, Blut und Urin. Jede Art der Testung hat Vor- und Nachteile, oft ergänzen sie sich gut und werden daher idealerweise in Kombination genutzt. 

Die Unterschiedlichen Testungen und ihre Vor- und Nachteile


Bluttest:

  • Bluttests gelten als “Goldstandard” der Hormontestung und liefern sehr präzise Ergebnisse
  • im Blut können, neben den weiblichen Sexualhormonen, auch FSH, LH und die Schilddrüsenhormone getestet werden
  • um ein umfassendes Bild zu bekommen, kann man im Blut auch weitere Hormone, biologische Marker und den Nährstoffhaushalt messen
  • Bluttests sind invasiv, da sie eine Blutabnahme erfordern, was viele Menschen als unangenehm oder schmerzhaft empfinden
  • um Blut abzunehmen, muss man in eine entsprechende Praxis oder ein Labor gehen, was einen größeren Aufwand bedeutet (es gibt auch Testkits für zu Hause, die aber gar nicht so einfach in der Anwendung sind)
  • wenn die Krankenkasse den Test nicht zahlt, ist ein Bluttest teurer als beispielsweise ein Speicheltest.

Speicheltest:

  • im Speichel kann man nicht die ganze Bandbreite der Werte testen, die möglicherweise hilfreich sind
  • Speicheltests können weniger genau sein als Blutttests, vor allem, wenn man präzise Hormonwerte braucht
  • die Hormonkonzentration kann durch bestimmte Nahrungsaufnahmen oder die Tageszeit beinflusst werden, allerdings kann man Speicheltests von zu Hause machen, sodass der idealer Zeitpunkt der Entnahme einfacher umzusetzen ist
  • Speicheltests sind deutlich weniger unangenehm und bequemer in der Anwendung als Bluttests
  • Speicheltests messen die frei verfügbaren Hormone im Körper
  • hormonelle Dysbalancen zeigen sich somit im Speichel früher als im Blut, daher kann das Blut noch unauffällig sein, wenn die Patientin schon über Beschwerden klagt, dies würde man im Speichel schon sehen
  • Speicheltests sind günstiger als Bluttests

Urintest:

  • Urintests sind in Deutschland weniger üblich als Speichel- und Bluttests
  • sie sind, wie Speicheltests, schmerzfrei und einfach in der Anwendung
  • auch bei Urintests spielt die Tageszeit und die Flüssigkeitszufuhr eine Rolle
  • Urintests können weniger präzise als Bluttests sein 
  • man kann nicht die gleiche Bandbreite wie im Blut messen, aber mehr als im Speichel

Es gibt mittlerweile auch Test-Kits für zu Hause zur Hormonspiegelbestimmung, entscheidend ist jedoch zu verstehen, ob das Kit die richtigen Werte für einen selbst misst, ob man in der Lage ist, den Test korrekt anzuwenden und jemand in der Lage ist, die Ergebnisse richtig zu interpretieren und entsprechende therapeutische Maßnahmen daraus abzuleiten. Den richtigen medizinischen Partner an der Hand zu haben, kann hier entscheidend für den Erfolg sein. Um dies beurteilen zu können, sollte man sich auch selbst solide zu dem Thema informiert haben und vor allem wissen, welches Ziel man mit der Diagnostik befolgt. Zum Teil kann das die Grenzen der Gynäkologie sprengen, sodass man sich auch einen ganzheitlicheren Partner, z.B. aus der Internistik oder Endokrinologie suchen kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entscheidung für oder gegen Hormondiagnostik, Wahl des Tests und des Partners aus dem Gesundheitswesen von den spezifischen Bedürfnissen, Beschwerden und Zielen der Patientin, den verfügbaren Ressourcen und der erforderlichen Genauigkeit abhängt. Sinnvoll kann eine Kombination von Testverfahren und ein dokumentierter zeitlicher Verlauf sein, um ein umfassendes Bild einer hormonellen Momentaufnahme sowie die Entwicklung des Hormonstatus zu erheben. 

Zusammenfassung:

Diagnostik spielt in den Wechseljahren eine wichtige Rolle, um bei Beschwerden den individuellen Hormonstatus zu ermitteln und passgenaue Therapien sowie Lebensstil Empfehlungen abzuleiten. Die Interpretation von Hormonwerten ist jedoch ein komplexes "Puzzle", das Fachwissen und die Berücksichtigung vieler Faktoren erfordert sowie viele Ressourcen in Form von Geld und/ oder Zeit kosten kann. Die gängigen Testmethoden sind Blut-, Speichel- und Urintests - jede mit ihren Vor- und Nachteilen. 

Das Gesundheitssystem ist auf eine solch ganzheitliche Herangehensweise oft nicht ausgerichtet. Frauen müssen die Diagnostik daher selbst einfordern und steuern.

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Quellen:

  1.  Orfanos-Boeckel, Helena (2022): Nährstoff-Therapie: Orthomolekulare Medizin & Bioidentische Hormone: Mangel ausgleichen, Beschwerden lindern, Alterungsprozesse aufhalten. Stuttgart: Trias.; Bildau, Judith (2024): Raus aus dem Hormon Karussell: Soforthilfe bei PMS, Regelschmerzen, psychischen Tiefs, Schlafstörungen und Gewichtszunahme. München: Gräfe und Unzer Verlag.; Pelz, Mindy (2023): The Menopause Reset,. United Kingdom: Hayhouse UK.
  2.  Bildau, Judith (2024): Raus aus dem Hormon Karussell: Soforthilfe bei PMS, Regelschmerzen, psychischen Tiefs, Schlafstörungen und Gewichtszunahme. München: Gräfe und Unzer Verlag.
  3.  Orfanos-Boeckel, Helena (2022): Nährstoff-Therapie: Orthomolekulare Medizin & Bioidentische Hormone: Mangel ausgleichen, Beschwerden lindern, Alterungsprozesse aufhalten. Stuttgart: Trias.
  4.  Osterhaus, Thiemo (2024): Hormonoptimierung – Zyklus, Schilddrüse, Wechseljahre & mehr mit Dr. Helena Orfanos-Boeckel #34, URL.